Interview
Dortmund im März 2020. André Schirmer ist 33 Jahre alt und Gründer, Gesellschafter und Geschäftsführer der Marketingberatung Schwarz+Matt. Heute beantwortet er Fragen zu seinem Werdegang, seinem Unternehmen und zu seinen Visionen. 10 Fragen und 10 Antworten von einem, der auszog, das Marketing zu verändern.
Hattest du als Kind auch schon immer eine große Klappe oder warst du eher zurückhaltend?
(lacht) Gute Frage. Tatsächlich war ich als Kind und in der Schule eher zurückhaltend, bin in der Klasse wahrscheinlich am wenigsten aufgefallen. Zum Teil ist das auch heute noch so. Privat bin ich eher zurückhaltend. Es liegt mir grundsätzlich nicht, vor Leuten zu sprechen. Ich bin auch nicht gut in Small-Talk. Das ändert sich allerdings vollkommen, wenn ich über Themen spreche, die mich begeistern und inspirieren. Da habe ich viel zu sagen, und mache das dann auch. Solche Gespräche mag ich sehr.
Wann wusstest du, dass du beruflich richtig Gas geben willst? Wann hast du zum ersten Mal gemerkt, dass du wirklich in der Lage bist, Marketing zu verändern?
Auf jeden Fall nicht von Anfang an. Sonst hätte ich nicht erst mein Abitur mit dem Schwerpunkt Maschinenbau gemacht. Oder eigentlich doch: So zur Abiturzeit kam der Gründerwettbewerb, den ich gewonnen habe. Da habe ich realisiert, dass man mit guten Ideen viel erreichen kann. Der Lehrer, der den Wettbewerb als Mentor begleitet hat, hat mich dann danach aufgefordert, dass ich mich bei ihm melden soll, wenn ich die erste Million zusammen hab. Ich habe das nicht vergessen. Und eigentlich noch vorher: Schon immer hatte ich den Drang, meine Interessen online auszuleben. Deshalb habe ich schon früh eine Website über Hubschrauber aufgesetzt. Das war spannend und passte zu meinem frühen Berufswunsch. Die Website war dann plötzlich weltweit sichtbar und hat großen Impact generiert. Vielleicht war das der Punkt, aber das lässt sich so eindeutig nicht beantworten.
Wer oder was hat dir geholfen, ein erfolgreicher Unternehmer zu werden? Welche Hilfe sollten junge Gründer in Anspruch nehmen?
Ich habe kürzlich noch darüber nachgedacht, wer meine wichtigsten Berater sind. Da gibt es schon ein paar wichtige Menschen, die mich bis heute begleiten. Eine wichtige Inspiration war einer meiner beiden Opas: Ein echter Business-Typ, vom alten Schrot und Spirit, immer schick, mit Krawatte und vom Scheitel bis zur Sohle Geschäftsmann. So habe ich ihn zumindest wahrgenommen. In meiner Familie fällt mein Berufsweg etwas aus dem Rahmen, das war zuerst einmal Neuland und ist es zum Teil immer noch. Natürlich sehen Eltern bei ihren Kindern immer zuerst das Risiko.
„Junge Gründer sollten immer Ratschläge von gestandenen Unternehmern suchen.“
Aber zur zweiten Frage: Junge Gründer sollten immer Kontakt mit und Ratschläge von gestandenen Unternehmern suchen. Da erhält man wichtige Tipps und erfährt Geschichten von Erfolgen und Niederlagen. Aus beidem kann man lernen. Letztendlich müssen Gründer aber wissen, dass sie alles selber machen müssen. Wer andere machen lassen will, kann nie erfolgreich ein Unternehmen aufbauen.
Wie schätzt du die Situation für Start-ups im Ruhrgebiet ein? Wird genug getan, um junge Gründer zu unterstützen? Oder besser: Wird das richtige getan?
Es gibt ja unglaublich viele Initiativen, auch von kommunaler Seite. Da gibt es aus meiner Sicht Dopplungen, einige Themen sind weniger relevant. Die meisten Maßnahmen sind leider nicht vernetzt und deshalb auch nicht zielführend. Die Verantwortlichen und auch die Berater haben oft nicht selber gegründet. Ich weiß nicht, ob alle dann die Problematik erkennen können und um die echten Herausforderungen der Gründer wissen. Gründerberatung muss mehr sein, als sich über die Formalitäten der Gründung auszutauschen. Hüllen bereitstellen nutzt da wenig. Gründer zu echten Entrepreneuren zu machen, sie in die Lage zu versetzen, richtig „Gas zu geben“, das ist wichtig. Ein echter Austausch mit erfolgreichen Unternehmern findet nicht bei Mettbrötchen und Bier statt, sondern in geschützten Räumen. Man muss frei sprechen und denken können, „Tacheles reden“. Manchmal denke ich aber auch: Redet doch nicht so viel. Wichtig ist: „Sachen machen“. Ich habe mir recht jung einmal vorgenommen, im Altern von 30 Jahren ein Unternehmen zu haben. 7 Tage vorher habe ich mit Nikolas Schwarz+Matt gegründet. Heute ist das die Basis für unser unternehmerisches Wirken.
Warum war es notwendig, Schwarz+Matt als Gegenentwurf zu bestehenden Werbeagenturen zu entwickeln? Was ist innovativ oder anders an Schwarz+Matt? Oder: Was machen andere Agenturen falsch?
Nach der Gründung von Schwarz+Matt haben wir sehr schnell gemerkt, dass es der falsche Weg ist, seine Leistungen anzubieten. „Wir können gut Flyer gestalten oder eine Website bauen“. Das wollten wir auch nie. Wir wollen Unternehmen mitgestalten, viele Ideen realisieren. Deshalb sind auch Start-ups unter unseren Kunden. Größere Unternehmen stehen vor einer wichtigen Transformation, die Digitalisierung, die Vernetzung aller Lebensbereiche. Das hat Auswirkungen auf den Konsumenten, auf sein Kaufverhalten, auf seine Entscheidungsfindungen. Werbeagenturen promoten Firmen oder Produkte, im besten Fall Marken. Das ist aber nur ein Teil des ganzheitlichen Marketings.
Unternehmen wissen häufig nicht, ob und wie die digitale Transformation sie und ihre Arbeit betrifft. Kannst du erklären, warum Digitalisierung und Transformation für jedes Unternehmen wichtige Themen sind? Was ist für Unternehmen aus deiner Erfahrung die größte Herausforderung?
Alle diese Veränderungen erfolgen immer schneller. Von innen heraus lässt sich diese Veränderung gar nicht durchführen. Es müssen eigene Think Tanks ausgegliedert werden, angereichert mit Spezialisten aus den unterschiedlichsten Disziplinen. Solange Menschen im eigenen Geschäftsmodell gefangen sind, können sie nicht frei denken, können keine bestehenden Strukturen aufbrechen oder sogar über Bord werfen.
„Aber genau das ist disruptives Denken. Platz machen für Neues, besonders im Kopf.“
Daraus müssen neue Produkte entstehen, neue Service-Angebote, skalierbare Wertschöpfungen, neue Bezahlräume und vieles mehr. Places sind vernetzte Räume, die erst noch gedacht werden müssen. Mit Urlaubsguru haben wir einen Schritt zurück gemacht. Ein digitales Unternehmen analogisiert. Weil dort ein Teil der Customer Journey stattfindet, aber natürlich eng vernetzt mit den digitalen Räumen des Unternehmens. Erfolgreiche moderne Unternehmen schaffen sich einen eigenen Kosmos für ihre Marke. Nike als Sportartikelhersteller integriert seine Produkte und Services intelligent in die Customer Journey. Apple erweitert seinen Kosmos mit iCloud und iMusic als Services und auch mit neuen Produkten. Es geht also um das Schaffen von vernetzten Eco-Systemen, die nachhaltig Bestand haben.
„Nur etwas herzustellen reicht heute nicht mehr.“
An Ende und am Anfang stellt sich die Frage: Will das Unternehmen in Zukunft mitspielen oder nicht. „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ Nach der industriellen Revolution war die Welt eine andere. Nach der digitalen wird das nicht anders sein.
In der Region vollzieht sich im Moment ein gewaltiger Wandel: Phoenix See, Phoenix-West, jetzt beginnt der Hafenumbau. Sind das die richtigen Projekte? Welche Rolle könnte Schwarz+Matt bei dieser Entwicklung spielen?
Über diese Projekte wird ja viel geredet. Gibt es wirklich so viele Gründer, die da einziehen wollen? Meiner Meinung nach wäre es besser, Initiativen sinnvoll zu bündeln und dann aus diesem Keim heraus wachsen zu lassen. Für uns stellt sich die Frage, sich langfristig an solch einem Projekt zu beteiligen oder selbst einen Campus zu gründen. Wir stehen ja schon länger in Kontakt mit Start-ups und Investoren, bringen selbst einiges mit und wollen Antrieb aus den Gründern selbst heraus generieren. Wir wollen keine Hüllen bauen ohne Inhalte und an den Gründern vorbei. Natürlich sind auch einige kommunale Initiativen interessant, aber das scheitert dann auch oftmals an der fehlenden Geschwindigkeit.
Gibt es neben Schwarz+Matt Projekte, an denen sich André Schirmer als Person beteiligen könnte? Wie müssten solche Projekte aussehen?
Ja, natürlich. Aber das ist sehr stark abhängig von den Gründern, ob sie die Bereitschaft zur Veränderung mitbringen. Transformation ist ja nicht irgendwann abgeschlossen. Und auch ein Unternehmen ist niemals zu 100% fertig. Private Investoren bringen oft diese Eigenschaften mit. Zum Teil Unternehmer, die erkannt haben, dass sie und ihr Business sich verändern müssen. In der Agenturlandschaft gibt es nur wenige Unternehmen, die ähnlich denken, die das Thema Transformation so scharf auf dem Schirm haben und selber ein zukunftsfähiges Agenturmodell bauen. Ideen, die in die Zukunft weisen, faszinieren mich. Dafür werde ich mich in Zukunft stark engagieren.
Wie siehst du Marketing in einigen Jahren? Wird Digitalisierung immer noch ein Thema sein? Was wird die Kommunikation technologisch und inhaltlich bestimmen?
Der neue Maßstab ist das Verhalten der Konsumenten. Vernetzung und Individualisierung ersetzen die Werbung, die auf ein latentes Bedürfnis zielt. Marketing darf nicht in Kanälen denken, sondern in Lösungen. Entscheidungen von gestern müssen neu getroffen werden. Beispielsweise sind in den Großstädten Autohändler in die Randzonen gezogen, weil Ausstellungsfläche dort bezahlbar war. Audi City Berlin – das Autohaus der Zukunft – baut einen riesigen Screen mitten in die City, auf der Interessenten ihr Auto konfigurieren können. So kommen sie wieder näher an die Menschen, bieten einen neuen Service und generieren Umsatz. Werbung ist tot, es lebe das Marketing.
Wo siehst du Schwarz+Matt in drei und in fünf Jahren? Wo siehst du dich persönlich? Was sind deine Zukunftspläne? Wie denkst du die Zukunft? Was könnten für dich persönliche Herausforderungen sein?
Weiß ich nicht, ist auch schwer zu sagen. Auf jeden Fall will ich mich in 10 Jahren auch in noch relevanteren Unternehmungen einbringen, die Probleme für ihre Kunden lösen. Unternehmen sind ja nie fertig, sind eigentlich immer bei 80 %.
„Stillstand ist nicht so meins. Ich brauche auch die ständige Veränderung.“
Aber natürlich gibt es Ziele. 100 Mitarbeiter in 5 Jahren ist nicht zu ehrgeizig, sondern notwendig, um eine Entwicklung realisieren zu können. Dabei geht es nicht um die reine Größe, sondern um die ständige Diversifikation des Unternehmens, um in allen Bereichen wirklich gut zu sein. Wir leben und arbeiten hier in einer Region des Wandels: Von Kohle und Stahl zu Bildung und Technologie. Das hat ja auch Angela Merkel in Ihrer Rede zur Eröffnung des Digital-Gipfel in Dortmund noch einmal betont. Schwarz+Matt lebt diesen Wandel, gestartet als Werbeagentur, einmal in drei Jahren transformiert als Marketingberater. Die nächste Veränderung ist doch bei uns auch schon längst im Gange. Nicht, weil wir Veränderung um seiner selbst willen betreiben, sondern weil wir in die Zukunft denken. Auch Schwarz+Matt muss sich mit anderen Unternehmen vernetzen, daraus entsteht dann beispielsweise der Campus-Gedanke. Welche Möglichkeiten bieten Neue Medien, dazu gehören auch Influencer? Wie können wir unser Wissen und unsere Erfahrungen in Unternehmen transferieren? Schwarz+Matt ist schon heute mehr als eine Agentur, eigentlich mehrere Agenturen unter einem Dach: Consulting, Design, Performance, Content, Technologie – das ist ganzheitliches Marketing, wie wir es verstehen. Das wollen wir ausbauen, auch für uns ein eigenes Eco-System schaffen, in dem wir wachsen und gedeihen können. Dazu brauchen wir die richtigen Partner, Mitarbeiter und natürlich etwas Glück. Ob sich das alles in fünf Jahren noch einem Unternehmen oder einer Unternehmensgruppe abbilden lässt, weiß ich jetzt auch noch nicht. Aber wir denken jetzt schon darüber nach, sprechen mit Investoren und Spezialisten. Insofern bereiten wir uns gut auf die Zukunft vor, denn die beste Zeit liegt noch vor uns.